Traditional English and Irish Folk

The Mermaid

Text, Übersetzung, Hintergrund & Interpretation

Full English - A Collection Of Traditional British Folk Songs ist ein Album des englischen Folk Musikers Mat Williams. Der Multi-Instrumentalist hatte bereits einen erheblichen Anteil an der Produktion der beiden Nursery Rhyme Collections und ebenso der deutschsprachigen Neuen Liedersammlung. Auf unseren Seiten finden sich die Original-Texte aller Songs, ausführliche Hörbeispiele, deutsche Übersetzungen und weitere Erläuterungen. Viel Spaß damit!

Über den Künstler und das Album (alle Lieder und viele Hintergrund-Informationen): Mat Williams - A Collection Of Traditional British Folk Songs

Hörbeispiel The Mermaid



Englischer Text:

The Mermaid

Twas Friday morn when we set sail
And we were not far from the land, (ahoy!)
When the captain, he spied a lovely mermaid
With a comb and a glass in her hand.

Chorus
O the ocean’s waves will roll
And the stormy winds will blow,
While we poor sailors go skipping to the top
And the landlubbers lie down below, below, below,
The landlubbers lie down below.

And up spoke the captain of our gallant ship
And a well-spoken man was he, (I say!)
I have me a wife in Salem by the sea
And tonight she a widow will be.

Chorus

Then up spoke the cabin boy, of our gallant ship,
And a nasty little lad was he, (oi, oi!)
I’m not quite sure if I can spell ‘mermaid’
But I’m going to the bottom of the sea.

Chorus

Then three times around went our gallant ship,
And three times around went she (oh no!)
Three times around went our gallant ship
And she sank to the bottom of the sea.

Chorus


Words & Music: Traditional,
arranged & performed by Mat Williams







Briony Williams
Briony Williams

Inzwischen hat auch Mats älteste Tochter Briony ihr erstes traumhaft schönes Acoustic Folk Album Solstice auf unserem Label veröffentlicht, das wir auf unseren Seiten ungekürzt und völlig kostenlos zum Streamen anbieten, incl. aller Texte, deutscher Übersetzung und sprachlichen Anmerkungen. Die englische Sprache in ihrer schönsten Form: Das Acoustic Folk Album Solstice von Briony Williams

Geschichte und Hintergrund von The Mermaid

Zahlreich und unterschiedlich sind die Versionen dieses Folksongs: Einige sind lang, balladengleich und sorgenvoll, andere sind kurz und vergnügt - wie unsere Version - und sie scheinen nicht viel Sinn zu ergeben. Es gibt keine Geschichte an sich. Vielleicht ist der erzählerische rote Faden auch in den Pubs verlorengegangen, also da, wo der Song eigentlich hingehört.

Dennoch hat es viele Gemeinsamkeiten mit anderen Seemannsliedern - denen, die nicht von Piraten oder Schlachten erzählen - hierzu gehört, dass sehr oft Meerjungfrauen auftauchen. Es gibt eine Menge solcher halb-und-halb Kreaturen in der Folklore, zur See und an Land. Werwölfe und die Eerie “Selkie” Legenden der Schottischen Inseln verändern ihre Gestalt und sind nicht permanent "halb-und-halb." Permanente halb-und-halb Kreaturen und Götter kennen wir hingegen schon aus der griechischen Mythologie.

So populär ist die Idee der Meerjungfrau, dass sie an allen möglichen Orten auftaucht. Sie ist ein gesichtsloses Wesen, das meist einen Kamm hält und ein Glas, oft in unnatürlichen Stellungen; eigentlich nicht besonders verführerisch.

Dabei ist es der eigentliche Job der Meerjungfrau, verführerisch zu sein. Ob sie eine Sirene ist oder Loreley, alleine oder in Mehrzahl, sie war immer da, um Schiffe zu den Felsen zu locken, an denen diese dann zerschellten. Dies ist eine der Erklärungen, die diese Version ausläßt. Vielleicht, weil man die Zusammenhänge einfach als bekannt voraussetzt.

Vermutlich gibt es eine tatsächlich existierende Vorlage für die Meerjungfrau - die Seekuh, die sich manchmal zur Hälfte aus dem Wasser erhebt. Es ist eine wenig liebliche Kreatur und Seemänner, die den Anblick mit einer wunderschönen Jungfrau assoziieren müssen sehr betrunken gewesen sein oder geblendet von der Gischt.

Der Kapitän des Schiffes erkennt sein Schicksal und verkündet es in üblicherweise verklausulierter Form.

“I have me a wife in Salem by the sea
And tonight she a widow will be.”

“Ich habe eine Frau in Salem, an der Küste des Meeres
und in dieser Nacht wird sie zur Witwe werden.”

Also nicht: “Ich werde heute Nacht sterben”. Dies mag eines sein von hunderten Formen des Aberglaubens, der mit dem Meer verbunden ist; dass das Wort “sterben” Unglück bringt und man es daher nicht ausspricht. In vielen Kulturen meint man, einen Namen auszusprechen, bedeutet, denjenigen einzuladen. (Anmerkung: Das Konzept findet sich selbst bei Harry Potter noch wieder: Lord Voldemort, der dunkle Lord, wird zu "dem, dessen Name nicht genannt werden darf"). Oft wurden übelwollende Wesen genau gegenteilig benannt, um sie nicht anzulocken. Die alten Griechen nannten die Furien “Die Freundlichen”, um sie nicht anzulocken. Das Meer hat stets Aberglaube hervorgebracht (wie auch das Wasser und die Ernte in “John Barleycorn”). Kein Wunder: Die Macht und Unvorhersehbarkeit des Meeres waren erschreckend, wenn es gegen die Nussschale eines Fischerbootes schlug oder geegn ein voll ausgerüstetes Kriegsschiff. Mancher Aberglaube hingegen erscheint keinen Sinn zu ergeben. Die Tradition, dass Seeleute nicht Schwimmen lernen, weil sie das dann niemals brauchen, entbehrt einer gewissen Logik, aber das tut auch ein Sturm auf hoher See. Jede Art von Verhalten, welche die Illusion verleiht, man habe irgendeine Kontrolle über das Unkontrollierbare, scheint beruhigend. Nicht umsonst nannte man das Meer “den alten grauen Witwenmacher.”

Wir hören dann ungewöhnliche Verse über den kleinen, frechen Schiffsjungen, unüblich deshalb, weil Schiffsjungen üblicherweise etwas Gutes darstellten in einer an Artful Dodger angelehnten Weise - vorlaut, heroisch, selbst andächtig: Zumindest in Seemannsliedern. Es bedeutet also eine Veränderung zu sein, eine kleine Nervensäge zu sein. Er sinkt an den Grund des Meeres und wahrscheinlich geschieht im das recht.

Die letzte Strophe in vielen Tod-zur-See Balladen: Schiffe drehen sich stets dreimal um sich selbst bevor sie untergehen. Drei ist natürlich eine magische Zahl - drei Wünsche, drei Söhne u.s.w. Man weiß nicht genau, ob die dreimalige Wiederholung der Zeile dazu dient, das Bild in den Kopf zu hämmern oder ob es kumulativ zu verstehen ist, dass sich das Schiff also neunmal dreht vor dem Untergang .... egal. Neun ist ebenfalls eine magische Zahl (drei mal drei). In einer so fröhlichen Version wie dieser - wer zählt da schon mit?

Kommentar übersetzt aus dem Englischen,
Originaltext Origin and meaning of The Mermaid: Gillian Goodman,
© ClassicRocks, Mat Williams 2012


Eine tiefere Analyse der Mythen um Meerjungfrau, Sirenen und Loreley
von Andrés Ehmann

Es gibt zwei sehr bedeutsame Stellen in der Literatur, eine davon für die Geisteswissenschaften sehr bedeutsame, die ebenfalls von Frauen handeln, oder abstrakter von Wesen weiblichen Geschlechts, die Schiffe versenkt haben. Beide sind zum Mythos geworden und Geschichten, die zum Mythos werden, sind wahr. Manche davon sind mehr als wahr, beschreiben eine existentielle Situation. In diese Kategorie von Mythos gehört wohl auch die Geschichte, die hier erzählt wird. Fangen wir an mit der harmloseren Stelle. Harmloser, weil die Geschichte hier noch ironisch gebrochen wird. Wir meinen das Gedicht Loreley von Heinrich Heine. Mag sein, dass vielen Japanern, die den Rhein hochschippern es für Folklore halten, aber manchen mag klar sein, dass es mehr ist als Folklore, also Kultur für Hirntote, dass eine existentielle Situation angesprochen wird, auch wenn Heine die Dramatik in einer tanzenden Sprache verpackt hat.

Die Loreley
Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl, und es dunkelt,
Und ruhig fliesst der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr goldenes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Welllen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Loreley getan.


Hier geht es zu unserer Vertonung Loreley

Der Unterschied zur Mermaid ist nun der, dass der Zusammenhang zwischen Loreley und dem unglücklichen Schicksal des Schiffers unmittelbar hergestellt wird. Er hätte wohl besser auf die Loreleyfelsen geachtet und nicht auf die singende Jungfrau mit goldenem Haar. Der zweite Unterschied bei Heine besteht darin, dass sie auch noch singt, ein Moment, das wir in der philosophisch sehr bedeutenden Szene, von der wir gleich sprechen werden, wiederfinden werden. Beide stehen für eine Sehnsucht, die dem Leben zwar eine Bedeutung geben, aber genau so gut so übermächtig auf das Subjekt wirken können, dass es dieses aus dem Leben hinaustreibt. Die andere Stelle, wo ein Schiff versenkt wird, weil das Subjekt Erfahrungen ausgesetzt ist, die so übermächtig wirken, dass es schließlich die Kontrolle über sein Leben verliert, finden wir am Beginn der bekannten Menschheitsgeschichte, im 12 Gesang der Odyssee von Homer.

Jetzt antwortete mir die hohe Kirke, und sagte:
Dieses hast du denn alles vollbracht;
vernimm nun, Odysseus,
Was ich dir sagen will:
Des wird auch ein Gott dich erinnern.
Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern
Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen Stimme lauscht,
Dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, dass niemand
Von den andern sie höre.
Doch willst du selber sie hören;
Siehe dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen:
Dass du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.
Flehst du die Freunde nun an, und befiehlst die Seile zu lösen;
Eilend fessle man dich mit mehreren Banden noch stärker!


Der listenreiche Odysseus, von Kirke gewarnt, entgeht also dem Schicksal des Schiffers, dessen Schiff an den Loreleyklippen zerschellte, durch einen Trick. Seinen Kameraden stopft er Wachs in die Ohren, so dass sie den Gesang der Sirenen nicht hören und unbeindruckt vorbeirudern. Er selbst jedoch ist an einen Mast gebunden, wird also davor bewahrt, von der übermächtigen Sehnsucht übermannt zu Füßen der Sirenen zu vermodern. Weil der Captain in diesem Folksong übermannt wird von einer tiefen Sehnsucht, wird er nicht zur Frau und Kind zurückkehren.

And up spoke the captain of our gallant ship
And a well-spoken man was he, (I say!)
I have me a wife in Salem by the sea
And tonight she a widow will be.


Das hätte ihm Kirke auch sagen können.

Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen Stimme lauscht,
Dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;


"Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit", wie Nietzsche schon zutreffend bemerkte und nur der listenreiche Odysseus, kann zwischen sich und das tobende Leben die "Vernunft" stellen und so überleben. Schon zu Beginn der bekannten Menschheitsgeschichte, genauer gesagt, vor 2800 Jahren, wird also ein Element der conditio humana beschrieben. Bedauerlich nur, dass da, wo der Triumph der "Vernunft" total ist, sie genau das vernichtet, was sie bewahren will, den unverbauten Blick auf das Leben selbst.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.


(Goethe, Faust I)

Indem sich das Subjekt selbst auf die Welt zurichtet, löscht es sich letztlich aus. Es darf nichts existieren, was der "Vernunft" und ihrer festgefügten Ordnung widerspricht, folglich auch kein Subjekt. Geistesgeschichtlich relevant wurde die Stelle, weil Adorno / Horkheimer in ihrem Werk "Odysseus oder Mythos und Aufklärung, diese Art von Rationalität beschreiben. Er verstopft ihnen die Ohren mit Wachs, und sie müssen nach Leibeskräften rudern. Wer bestehen will, darf nicht auf die Lockung des Unwiederbringlichen hören, und er vermag es nur, indem er sie nicht zu hören vermag. Dafür hat die Gesellschaft stets gesorgt. Frisch und konzentriert müssen die Arbeitenden nach vorwärts blicken und liegenlassen, was zur Seite liegt. Den Trieb, der zur Ablenkung drängt, müssen sie verbissen in zusätzliche Anstrengung sublimieren. So werden sie praktisch. Adorno / Horkheimer, Exkurs I. Odysseus oder Mythos und Aufklärung, in: Die Dialektik der Aufklärung. Allerdings gibt es in dem Lied von der Mermaid noch zwei andere interessante Typen, auch wenn einer von ihnen in dieser Version unterschlagen wurde. Es gibt also einen Vers, der fehlt, der aber einen interessanten Zeitgenossen beschreibt.

Then up spoke the Cook of our gallant ship,
And a greasy old Cook was he;
"I care more for my kettles and my pots,
Than I do for the roaring of the sea."

Then up spoke the cabin boy, of our gallant ship,
And a nasty little lad was he, (oi, oi!)
I’m not quite sure if I can spell ‘mermaid’
But I’m going to the bottom of the sea.

Da sprach der Koch unseres prächtigen Schiffes
Und ein schmieriger, alter Koch war das
"Meine Kessel und Töpfe sind mir wichtiger,
Aals das Dröhnen des Meeres"

Dann sprach der Schiffsjunge unseres prächtigen Schiffes
Und das war ein frecher, kleiner Junge (oi, oi)
"Ich weiß nicht, ob ich Meerjungfrau schreiben kann,
Aber ich werde auf dem Grund des Ozeans enden


Da ist also der Captain, der auf hoher See eine Meerjungfrau erblickt, die sozusagen in seine Seele einschlägt wie ein Blitz in den Mast. Dann gibt es da noch einen Koch, der von keinem Blitz getroffen werden kann, denn Blitze treffen nun mal keine Betonklötze. Aber auch schlichte Gemüter, können sich auf dem Grunde des Ozeans wiederfinden, auch wenn sie sich für nichts außer ihren Schüsseln interessieren. Auch der Schiffsjunge ist davor gefeit, sich in tiefere Leidenschaften zu verstricken, aber auf dem Grunde des Meeres landet er trotzdem. Es gibt also auch Leute, da kann keine Rationalität ein Subjekt auslöschen, weil noch nie eines da war. Den Fall hat Adorno glatt vergessen. Die Gegenüberstellung von seelisch komplexen Seelen, in diesem Fall dem Captain, und schlichteren Gemütern findet man oft in der Literatur. Ein sehr prominentes Beispiel wäre Quijote und Sancho Pansa. Vermutlich wird der Song normalerweise als Bestätigung der katholischen Moralvorstellungen aufgefasst. Der Captain ist verheiratet, der hat also mit Mermaids prinzipiell nichts zu schaffen, allerdings zeigt die Alltagserfahrung, dass manche Pastoren Schiffsjungen sind. Sollte eine Kritik in dem Lied enthalten sein, ist der Text geschickt geschrieben, er ist de facto unangreifbar. Ähnlich wie bei dem Gedicht von Heine

Ich glaube, die Welllen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Loreley getan


ist unklar, ob das Schiff auf dem Grunde des Meeres gesunken ist. Denn "she" kann auch das Schiff sein.

Then three times around went our gallant ship,
And three times around went she (oh no!)
Three times around went our gallant ship
And she sank to the bottom of the sea.


Also "she" kann die "mermaid" sein oder das Schiff. Plausibler ist zwar, dass sich das "she" auf das unmittelbar davor stehende Substantiv bezieht, das wäre das Schiff, es könnte aber auch die "Mermaid" sein. Wie dem auch sei. Das Ergebnis ist klar. Das Schiff auf dem Grunde des Meeres.

© 2012